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Schlaue deutsche Anleger

12. April 2014

Deutsche Anleger gelten als finanziell ungebildet – in der Selbsteinschätzung, in der Wahrnehmung vieler Finanzdienstleister, in den Medien und, ganz ehrlich: Auch in meinem Kopf. Aber stimmt das überhaupt? Dem Status der Finanzbildung ging das „Global Financial Literacy Excellence Center“ in einer internationalen Studie mit drei standartisierten Fragen nach. Und nun raten Sie mal, in welchem Land es die meisten korrekten Antworten über alle Altersklassen und Geschlechter hinweg gab?

Vergangene Woche bekam ich eine Studie auf den Tisch, Absender: Die EFAMA, eine europäische Lobbyorganisation der Fondsgesellschaften. Diese hat unter anderem – aus nicht ganz uneigennützigen Gründen – die Verbesserung der finanziellen Allgeinbildung zum Ziel. Das ist natürlich eine unterstützenswerter Gedanke, den übrigens auch Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Rede auf dem Bankentag in Berlin am Dienstag noch einmal betonte: Die Bürger in diesem Land müssen befähigt werden, grundlegende ökonomische Zusammenhänge zu verstehen.

Denn schließlich ist Geld in diesem Land ein Tabuthema in vielen Familien, wird eben jenes finanzielle Grundwissen aber auch nicht in der Schule vermittelt. Kurz: Die Menschen sollen sparen, vorsorgen, sehr weitreichende Entscheidungen treffen, bekommen aber häufig weder in Familie noch in der Schule die entsprechende Bildung mit. Was vor allem vor dem Hintergrund der Liberalisierung der Strom-, Gas-, Telekommunikationsmärkte sowie des schleichenden Rückbaus des Sozialstaats in Fragen der Rente und der Berugsunfähigkeit ja eine Frechheit ist.

Nun gab es in der Vergangenheit eine Menge Studien, die eben jene fehlende finanzielle Bildung in Deutschland per Umfragen dokumentiert haben. Laut einer Umfrage der ING-Diba in ganz Europa halten sich sogar 53 Prozent der Deutschen und damit prozentual mehr Menschen als in jedem anderen (!) europäischen Land in einer Selbsteinschätzung für finanziell unbeleckt.

Die von der Fondslobbyorganisation vorgelegte Studie ist zwar schon etwas älter (mir indes neu) und kommt im internationalen Vergleich zu einem ganz anderen Schluss. Das an die Washingtoner Universität angeschlossene „Global Financial Literacy Excellence Center“ hat demnach ausgewertet, wie drei standartisierte Fragen in zwölf Ländern weltweit beantwortet werden. Bei den Ländern handelt es sich um die USA, die Niederlande, Japan, Australien, Neuseeland, die Schweiz, Italien, Schweden, Frankreich, Russland, Rumänien. Ein bunter Strauß Länder mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen, Bildungssystemen, Historien und Finanzmarktaffinität also. Befragt wurden zwischen 2007 und 2010 im Zuge verschiedener Studien je nach Land zwischen 850 und 4000 Befragte, was jeweils repräsentative Schlüsse für die Gesamtbevölkerung zuließ.

Die Fragen lauteten:

  • Wenn auf einem Konto 100 Dollar [Euro] liegen und es zwei Prozent Zinsen pro Jahr gibt, wie viel Guthaben liegt auf dem Konto nach fünf Jahren – mehr als 102 Dollar, genau 102, weniger als 102?
  • Wenn es für ein Konto eine Verzinsung von einem Prozent pro Jahr gibt und die Inflationsrate bei zwei Prozent pro Jahr liegt, kann man sich für das Geld auf dem Konto nach einem Jahr mehr als heute, genau so viel oder weniger kaufen?
  • Ist die folgende Aussage wahr oder falsch: Eine einzelne Aktie zu kaufen bringt normalerweise sicherere Erträge als ein Aktienfonds?

[Die Befragten konnten jeweils auch sagen, dass sie die Antwort nicht wüssten oder nicht beantworten wollen, womit man auch die „Selbsteinschützung“ in Sachen Finanzbildung abgleicht und „Zufallstreffer“ in der Beantwortung etwas senkt].

Man kann es nun so drehen, dass knapp ein Fünftel der Deutschen schon die doch sehr einfache Frage nicht beantworten kann ob aus 100 Euro bei zwei Prozent Zins nach fünf Jahren mehr oder weniger als 102 Euro werden. Man kann auch sagen, dass 40 Prozent den Diversifikationseffekt nicht kennen, also glauben, eine Einzelaktie böte sicherere Erträge als ein Investmentfonds.

Ich hätte nur offen gestanden vermutet, dass uns gerade Länder mit einem gut entwickelten Finanzmarkt und einer tradierten „Anlagekultur“ in solchen Fragen dennoch in die Tasche stecken.

Tatsächlich aber liegt Deutschland in der Quote der richtigen Antworten bei allen drei Fragen in der Spitzengruppe: In der Zinsfrage gaben nur die Niederländer, Neuseeländer und Australier etwas häufiger die richtige Antwort als die Deutschen, wo 82 Prozent richtig lagen. In der Inflationsfrage gaben ebenfalls nur die Neuseeländer häufiger die richtige Antwort, immerhin 78 Prozent der befragten Deutschen wussten hier, dass die Kaufkraft in einem Jahr natürlich gesunken ist, wenn es ein Prozent Zinsen gibt und die Teuerung bei zwei Prozent liegt. 62 Prozent der Deutschen wussten (oder haben korrekt geraten), dass ein Aktienfonds aufgrund der Streuung sicherere Erträge bringt als eine Einzelaktie.

Unter dem Strich heißt das: 53 Prozent der Deutschen hatten alle drei Fragen richtig beantwortet, das sind mehr als in jedem anderen Land. In den USA (wo ein Drittel an der einfachen Zinsfrage scheiterten!) beträgt die Quote der Befragten mit allen drei richtigen Antworten gerade einmal rund 30 Prozent. Lediglich die Schweizer kommen Deutschland mit rund 50 Prozent komplett richtig beantworteten Fragen nahe.

Interessant ist auch, dass die Ergebnisse robust über alle Altersgruppen und beide Geschlechter sind: Deutsche erwiesen sich – zumindest mit Blick auf diese drei Testfragen und dem Kriterium „alle drei richtig beantwortet“ – als finanziell am cleversten bei den unter 36jährigen, den 36 bis 50jährigen, den 51 bis 65jährigen und den über 65jährigen. Besonders drastisch ist auch hier der Unterschied bei den Jüngeren zu den USA: In Deutschland hatten 55 Prozent der unter 36jährigen alle drei Fragen korrekt beantwortet, in den USA nur 19 Prozent.

Das gleiche Bild bei der Unterscheidung der Geschlechter: 60 Prozent der Männer in Deutschland, 47 Prozent der Frauen hatten alle drei Fragen richtig beantworten können. Damit waren nur die Schweizer Männer etwas besser unterwegs (62 Prozent hatten alle drei richtig), allerdings erwiesen sich die Frauen in Deutschland als finanziell gebildeter (48 Prozent hatten alle drei richtig) als beim südlichen Nachbarn (39 Prozent).

Nun fand die Befragungen zu unterschiedlichen Zeiten statt (2007-2011) und ist mit den üblichen statistischen Unsicherheiten behaftet – schließlich erlaubt die geschlossene Frage auch ein wildes, selbstbewusstes Raten der richtigen Antwort. Und: Die drei Fragen decken ja auch nur einen kleinen Teil des Themenkomplexes Finanzbildung ab.Den Schluss, deutsche Anleger seien die Cleversten weltweit würde vermutlich niemand daraus zielen wollen.

Dass aber andere Länder eine andere „Anlagekultur“ haben, etwa im Umgang mit Aktien, dass die Deutschen so verliebt sind in bombensichere Sparformen, das mag eine Reihe Gründe haben – fehlende finanzielle Bildung ist es aber zumindest im internationalen Vergleich vermutlich nicht.

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2 Kommentare
  1. Peter Ranning permalink

    Sorry, wenn ich das hier so klar und deutlich sage, aber ich halte eine solche Studie (oder besser die Schlussfolgerungen) für kompletten Unsinn!
    Jedenfalls kann man mit diesen drei Fragen nicht die „Anlagekultur“ oder einen Grad der Finanzbildung erforschen. Dazu sind die Fragen viel zu einfach und liegen noch unter dem Niveau der Pisa-Studien. Jeder, der die Hauptschule hinter sich gebracht hat und schon einmal gehört hat, was ein Zins ist, kann die ersten beiden Fragen schon einmal beantworten. Und wenn man dann bei der dritten Fragen noch die 50%-Chance beim Raten richtig trifft, dann ist der Test schon bestanden.

    Ich bin nach wie vor der Meinung, dass die Ausbildung in finanziellen Fragen in allen Schulformen (inkl. Berufsschule und auch Universitäten) nicht stattfindet. Und dabei geht es noch nicht einmal um Fragen zur Aktien, Börse etc., sondern um Dinge des täglichen Lebens, mit denen jeder umgehen muss! Ich bin der festen Überzeugung, dass die Mehrzahl der Erwerbstätigen nicht in der Lage sind, ihre eigene Lohn-/Gehaltsabrechnung umfassend zu erläutern und ihre Steuererklärung selbst zu erstellen.

    Ich weiß nicht, was die Studie eigentlich wirklich bezweckt hat und welches Ziel die Auftraggeber wirklich mit diesem Ergebnis verfolgt haben, nur über eines bin ich mir sicher: Eine Aussage über Anlagekultur und Finanzbildung haben sie nicht geliefert.

    Gruß, Der Privatier

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