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Machen Sie doch ruhig mal irrationalen Mist

4. Februar 2015

Der Finanz- und Anlagejournalismus steckt – das zeigen die Auflagen –  in der Krise. Obwohl doch viele Menschen ein Bedürfnis nach finanzieller Bildung und Informationen über rentable Geldanlage und Vorsorge haben, sind nur wenige bereit, dafür ein paar Euro zu investieren. Was womöglich auch daran liegen könnte, dass nicht (nur) die Beschäftigung damit die Leser langweilt. Sondern auch das, was als Empfehlung heraus kommt – nämlich zu einem  idealtypischen, gebührensensitiven, antizyklischen Anleger zu werden. Am besten noch, ohne zuvor einmal richtig Mist gemacht zu haben.  Machen Sie also ruhig mal Mist, zum Beispiel am „Tag der Aktie“ am 16. März!

Als am vergangenen Freitag die vier größten Direktbanken Deutschlands in Frankfurt ihre „Aktion pro Aktie“ vorgestellt haben, war die unmittelbare Reaktion vieler Kollegen auf der Pressekonferenz eher verhalten. Die Banken wollen etwas für die Aktienanlage tun, mit Vorurteilen aufräumen – und bieten überdies am 16. März ihren Kunden den gebührenfreien Kauf von DAX-Einzelwerten und DAX-ETFs an (übrigens erhebt an diesem Tag auch die Börse keine Gebühren).

Dazu gab es eine Reihe kritischer Nachfragen: Warum man das nicht vor 20 Jahren gemacht habe, ob es denn überhaupt sinnvoll sei, das nur mit DAX-Werten zu machen unter dem Aspekt der Diversifikation. Ob denn wirklich erstrebenswert wäre, wenn Privatanleger sich dann eine Infineon kauften?

Auch meine Nachfrage, warum denn das umfangreiche Studienmaterial über die Transaktionen von 1,6 Millionen Depots seit 2007 keine Angaben enthielt, wie denn die Kunden tatsächlich abgeschnitten haben in den letzten Jahren mit Aktienanlagen, blieb unbeantwortet. Man habe sich nun mal dagegen entschieden – ich vermute, weil diese Ergebnisse in der Regel fatal ausfallen, Privatanleger schneiden etwa in den USA konstant vier bis fünf Prozentpunkte PRO JAHR schlechter ab als der Gesamtmarkt, mehr dazu hier. Das wäre unter PR-Aspekten wenig ermutigend für „Neueinsteiger“. Die Fondsratingagentur Morningstar kam bei der Analyse von Mittelzu- und abflüssen bei Fonds zu ähnlichen Ergebnissen; Anleger agieren zu ängstlich und prozyklisch, greifen zu oft in ihre Anlagen ein. Die besten Renditen erzielen übrigens Anleger, die ihre Depots schlicht „vergessen“.

Aber.

In einem meiner Lieblingsbücher – den „Magier der Märkte“ von Jack Schwager – findet sich eine interessante Parallele, was herausragende Trader und Investoren auszeichnet. Sie haben fast alle schon mal lernen müssen, mit einem Totalverlust oder sehr, sehr schlechten Engagements umzugehen. Und Schlüsse daraus gezogen.

Und das ist der Punkt. Viele Anleger verhalten sich nicht optimal, klar. Aber wissen Sie was? Ich verhalte mich auch nicht optimal. Ich besitze eine paar Einzelaktien von Unternehmen, deren zufriedener Kunde und Konsument ich bin, obwohl ich weiß, dass ein günstiger, gestreuter Indexfonds die bessere Anlage ist (die habe ich natürlich auch). Es macht aber auch einfach Spaß, Alltagsbeobachtungen in eine Anlage umzusetzen. Peter Lynch erklärte, er lerne beim Besuch in einer Shopping Mall mehr als in den meisten Vorstandsinterviews – und mit dieser Strategie verdiente Lynch zwischen 1977 und 1990 29 Prozent pro Jahr mit einem Aktienfonds.

Viele befreundete Finanzjournalisten und auch viele Fondsmanager haben – wie ich auch – eine „Vergangenheit“ als Optionsscheinzocker in den 90ern oder am „Neuen Markt“. Es war die klassische Anlegerkarriere der 90er Jahre, man schleicht sich über Aktien an Geldanlage heran, auch mit Kleingeld, irgendwann kommen die Optionsscheine, bei Gewinnen hält man sich für genial, bei Verlusten ist der Markt schuld, es folgt dann meist ein Totalverlust, dann geht’s irgendwann weiter. Entscheidend ist, aus jeder Erfahrung zu lernen.

Ich wünsche niemandem Verluste. Aktien sind riskant, man sollte schon 10 bis 15 Jahre auf das Geld verzichten können, das man investiert. Und natürlich wäre es clever, wenn Menschen vom Sparbuch direkt in ein günstiges, diversifiziertes Depot aus Indexfonds wechseln würden, weil sie gut beraten werden oder viele schlaue Bücher und Blogs gelesen haben.

Leider ist das eine etwas verklärte Sicht vieler Kollegen und Verbraucherschützer. Ich kenne persönlich niemanden, bei dem es so „gelaufen“ wäre, auch wenn es natürlich wünschenswert wäre. Ich kenne nicht mal jemanden, der im Zuge der DAX-Rückschläge der letzten Monate oder im Herbst 2008 gesagt hätte: Jetzt nutze ich mal die Chance und agiere antizyklisch und steige ein. Wir können als Journalisten und Blogger womöglich ein wenig dazu beitragen, dass sich andere die „Totalverlusterfahrung“ ersparen und die Lernprozesse schneller ablaufen, wie man gut und günstig anlegt. Aber kann man sie überspringen? Und der Anlage auch jeden Funfaktor nehmen? Ich habe da manchmal meine Zweifel. Und glaube überdies, nach zwei üblen Crashs wird – auch das zeigt die Studie der Direktbanken und viele, viele andere Tests – das Verlustrisiko mit Aktien eher über-, die Renditechancen aber unterschätzt. Und ich glaube, dass in diesem Land mindestens zehnmal mehr Geld jedes Jahr verbrannt wird, weil sich Privatanleger teure Produkte mit mieser Performance andrehen lassen, als Privatanleger mit der Direktanlage in Aktien verzocken.

Insofern finde ich auch die „Aktion pro Aktie“ gut. Sie bietet über den „Tag der Aktie“ ein niederschwelliges Angebot, sich mal an den Aktienerwerb heranzutasten. Zumal der – anders als viele aktive Fonds – sehr günstig ist. Eine BASF, Siemens oder Volkswagen-Aktie bei einer Direktbank zu halten, kostet nichts, der Kauf und Verkauf sehr wenig.

Der Kauf von Einzelaktien mag in der Theorie ziemlicher Mist sein. Aber er macht gerade für Einsteiger auch Spaß. Und viele Menschen haben aus ihrem Alltag gute Einblicke in bestimmte Branchen. Man lernt daraus – hoffentlich -, ohne allzu viel Lehrgeld zu bezahlen. Und wird dann im Laufe der Jahre ein besserer Anleger. Also machen Sie ruhig mal den Mist, von dem Schlauberger wie wir Journalisten Ihnen immer abraten!

 

 

 

 

 

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