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Wir erfinden heute mal ein tolles Altersvorsorgeprodukt

13. November 2014

Hier einmal ein konstruktiver Vorschlag, wie eine betriebliche Altersvorsorge aussehen kann, wenn man Lobbyisten der Finanzdienstleistungsbranche in Deutschland die Stirn bietet

Zugegeben: Ich hätte nicht gedacht, dass mein Beitrag über die Geschichte meiner betrieblichen Altersvorsorge einmal einer der meistgelesenen Artikel dieses Blogs wird. Denn den persönlichen Betroffenheitsjournalismus finde ich ansonsten eigentlich eher nervig.

Doch jammern hilft nicht – wie könnte denn eine für alle Beteiligten intelligent konstruierte, einfache und transparente betriebliche Altersvorsorge aussehen?

Zum Beispiel so: Angestellte zahlen bis zu acht Prozent ihres jährlichen Arbeitslohns in diese Altersvorsorge ein. Davon übernehmen sie selbst vier Prozentpunkte, der Arbeitgeber drei Prozentpunkte, und der Staat fördert das ganze mit einem weiteren Prozentpunkt. Natürlich locken zusätzliche Erleichterungen, weil diese Vorsorge aus dem Lohnbrutto gezahlt wird, was gut für Angestellte wie Unternehmen ist.

Weil eine zusätzlicher Altersvorsorge aus demographischen Gründen wichtig ist und damit die Menschen dem Staat im Alter nicht „vor die Füße fallen“, wird diese Altersvorsorge automatisch für alle Arbeitnehmer abgeschlossen. Aber natürlich hat jeder die Option, einfach und unbürokratisch zu sagen, dass er sie nicht will. Dann zahlt niemand einen Cent und hat auch keinerlei Nachteile.

Damit das ganze keine Bereicherungsmaßnahme für die Finanzdienstleistungsindustrie wird, bekommt dieses Altersvorsorgeprodukt einen Gesamtkostendeckel von 0,75 Prozentpunkte der gesamten Beitragssumme. Mehr darf niemand für die Leistung kassieren, den Vorsorgetopf zu verwalten.

Wir definieren ein Standardprodukt, lassen den Arbeitnehmern aber auch die Wahl zwischen verschiedenen Anlagelösung, die der Risikobereitschaft Rechnung tragen – aber immer unter der Maßgabe, dass nichts teuerer sein darf als 0,75 Prozentpunkte pro Jahr.

Jeder Arbeitgeber muss diese zusätzliche Altersvorsorge anbieten.

Wir beenden auch die Bevormundung, dass ein Altersvorsorgeprodukt eine lebenslange Mindestrente zahlen muss, weil wir einsehen, dass angesichts der extrem niedrigen Zinsen und der langen Lebenserwartung die monatlichen Garantierenten ohnehin sehr niedrig ausfallen. Stattdessen überlassen wir dem Arbeitnehmer selbst die Entscheidung, was er mit seinem Geld macht, ob oder welchen Teil der angesparte Summe er im Alter also in eine Rentenversicherung steckt. Seinen Kindern schenkt. Peu au peu aufbraucht. Eine Wohnung kauft. Oder ob er sich mit dem Geld einen Lamborghini kauft.

Um niemanden zu bestrafen, der womöglich nicht allzu lange lebt und um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass es letztlich ja immer noch das Geld des Arbeitnehmers ist, kommen die Sparer bereits ab dem Alter von 55 Jahren weitgehend abschlagsfrei an ihr Vorsorgeguthaben. Wir machen es aber steuerlich attraktiv, das Geld nicht auf einen Schlag zu verpulvern.

Gedankenspiel Ende.

Nun ahnen wir natürlich, was los wäre, wenn eine solche Reform der Vorsorge tatsächlich in Deutschland auf der Agenda stünde. Das Geschäft mit den Lebens-/Rentenversicherungen im Mantel der betrieblichen Altersvorsorge würde zusammen brechen, bei Ablaufleistungen hätte man plötzlich Konkurrenz. Die Versicherungslobby würde regelrecht ausflippen vor Wut, profitiert sie schließlich (wie auch bei der Riester-Rente mit der Zwangsverrentung einen Großteils der Beiträge) immens von dem Modell. Argumentiert würde damit, dass man Menschen doch davor schützen müsste, das Geld zu verpulvern und es sinnhaftig sei, wenn Menschen lebenslang einen sicheren Betrag kassieren.

Aber auch in der Fondsbranche wäre der Teufel los. 0,75 Prozent Kostendeckel pro Jahr? Wie zum Henker soll das möglich sein angesichts der furchtbaren Regulierung aus Brüssel und Berlin? Und was passiert dann mit den lieb gewonnenen Vergütungsstrukturen aus Ausgabeaufschlägen, Bestandsprovisionen und der Managementgebühr für verlässliche Underperformance gegenüber Indizes?

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Vermutlich halten Sie all dies für eine nie umzusetzende Fiktion. Die Sache hat nur einen Haken: Ich habe in diesen Zeilen exakt beschrieben, wie Großbritannien seine Altersvorsorge auch als Reaktion auf Niedrigzinsen, Finanzkrise und  Gebührenschinderei reformiert hat. Die Regelungen werden nun Zug um Zug eingeführt, der Gebührendeckel etwa ab April 2015, die volle Förderung und alle anderen genannten Punkte ab 2018. Das Geschäft mit „Annuities“ – also lebenslangen Rentenzusagen – ist tatsächlich eingebrochen. Es gab tatsächlich ein Riesengezeter in der Finanzdienstleistungsbranche. Und der Spruch, dass es jedem selbst überlassen sei, einen Lamborghini zu kaufen oder etwas anderes mit seiner zusätzlichen Vorsorge zu machen, stammt von der britischen Regierung, die offenbar den Glauben daran noch nicht ganz verloren hat, dass man Menschen selbst ganz gut entscheiden können, was gut für sie ist und was nicht.

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3 Kommentare
  1. Hardy permalink

    Hat nicht auch die Schweiz ein ähnliches System, bei dem gerade wieder gestritten wird, wieviel % davon auf einmal entnommen werden dürfen? Habe zumindest mit halbem Auge dazu etwas bei batz.ch gelesen…

  2. Dirk permalink

    Es gibt ja durchaus ganz sinnvolle Ansätze in Deutschland:

    Wenn alleine die Einkommensschwellen für Arbeitnehmersparzulage verdoppelt werden würden und es dabei dann auch Maximalkosten geben würde, dann könnte ganz schnell etwas aus dem Vermögensaufbau für den druchschnittlichen Arbeitnehmer werden.

    -> Diese ganzen Provisionsgräber (überteuerte Fonds und überteuerte Bausparverträge) wären weg vom Fenster und viele würden an den Vermögensaufbau denken und nach 7 Jahren auch merken wie sinnig das ist.

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  1. Kleine Presseschau vom 13. November 2014 | Die Börsenblogger

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