Zum Inhalt springen

Wie mich Nick Leeson mal einen Haufen Geld gekostet hat

2. März 2017

Nick Leeson – der Trader, der die Barings-Bank ruinierte – ist gerade 50 geworden. Ein kleines Anekdötchen dazu aus meiner persönlichen Zockerkarriere

Die meisten kennen die Geschichte des Traders Nick Leeson, dessen Spekulationen die britische Barings-Bank im Jahr 1995 in den Ruin trieben. Letzte Woche wurde Leeson -1999 aus der Haft entlassen, zwischenzeitlich an Krebs erkrankt, geheilt, heute als Redner unterwegs- 50. Sie sollten Ihm auf Twitter folgen!

Immer, wenn ich von Nick Leeson höre oder sehe, fällt mir eine Anekdote meiner eigenen Zockerkarriere in den 90ern ein. Damals waren Optionsscheine „der heiße Kram“ schlechthin. Ich kann mir das im Nachhinein gar nicht mehr erklären, warum. Vermutlich, weil es eine Möglichkeit war, auch mit kleineren Einsätzen ein großes Rad zu drehen.

Ich hatte mich damals bereits einigermaßen professionalisiert mit einem Programm, welches sich Kursdaten per 2400-Baud-Modem und Ferngespräch von einem Münchener Dienstleister zog. Das ermöglichte mir dann,  mithilfe der Kursdaten Chartanalysen vorzunehmen. War man einmal eine Woche im Urlaub, war die zwischendurch aufgelaufene Datenmenge zu groß, um sie durch das Modem zu ziehen. Dann musste der Dienstleister erst einmal eine CD-Rom nachschicken.

Jedenfalls hantierte ich mit Optionsscheinen herum, und nach einigen erfolgreichen Trades war ich, das typische Overconfidence-Phänomen, so von mir überzeugt, dass ich immer mehr auf eine Karte setzte. Die hieß dann im Herbst 1994: japanische Aktien. Schließlich hatte sich der Nikkei-Index binnen fünf Jahren mal eben halbiert.

Darauf setzte ich mit einem Optionsschein des Schweizerischen Bankvereins. Das dumme war nur: die Sache ging nicht auf. Oder anders formuliert: Der Markt brauchte noch ein bisschen, um meiner Weisheit zu folgen, werde aber bald ein Einsehen haben.

Der Nikkei-Index, Stand bei meinem Kauf ca. 20.000 Punkte, pendelte wochenlang orientierungslos zwischen 18.500 und 19.500 Punkten. Der Zeitwertverlust meines Optionsscheins nagte täglich am Wert.

Am 17. Januar 1995 ereignete sich dann ein schweres Erdbeben im japanischen Kobe. Ich befürchtete Schlimmes für mein Scheinderl‘ – was aber passierte? Der Nikkei-Index lag absolut stabil wie ein Brett bei 19.300 Punkten. Niemand konnte sich das erklären. Ich schloss daraus, dass der japanische Aktienmarkt nun vor einem markanten Wendepunkt nach oben stehen müsste – und verbilligte meinen Optionsschein.

Denn wenn schon so ein Beben nicht für Kursverluste sorgt, muss es bald richtig aufwärts gehen. (Man muss sich dazu vor Augen führen, dass schlechte Nachrichten damals tatsächlich fast immer schlecht waren. Heute ist das ja oft umgekehrt: Krisen, Katastrophen, schlechte Konjunkturdaten werden als Indiz interpretiert, dass die Notenbanken beim billigen Geld bleiben – also schlechte Nachrichten eigentlich ganz gut sind.)

Tatsächlich sank der Nikkei-Index eine Woche nach dem Beben kurz unter die Marke von 18.000 Punkten, stabilisierte  sich aber zwischen 18.000 und 19.000 Punkten.

Bis Nick Leeson am 24. Februar türmte und ein Post-It-Note mit dem Hinweis „I’m sorry“ an seinem Arbeitsplatz hinterließ. Der Nikkei-Index sackter unter 17.000 Punkte, im März dann unter 16.000 – der Optionsschein verfiel wertlos.

Was genau passierte, las ich einige Jahre später in der (empfehlenswerten) Leeson-Biografie „Rogue Trader“ nach: Leeson hatte in seinem geheimen Tradingaccount größere Positionen offen, die einen mindestens stabilen Nikkei-Index benötigten. Ein Einbruch durch das Kobe-Beben hätten die roten Zahlen nochmals drastisch ansteigen lassen. Also kaufte er wie verrückt Futures, um selbst den Markt zu stützen. Als Leeson floh, zog es dem Markt buchstäblich unten den Boden raus, die Kurse brachen ein.

Natürlich ist die Überschrift über diesem Artikel Quatsch. Nicht Nick Leeson hat mich Geld gekostet. Ich selbst habe eine Kette typischer Anfängerfehler begangen

  • nach einigen erfolgreichen Transaktionen mit Optionsscheinen hielt ich mich selbst für viel cleverer, als ich war (und bin). Gewinne schreibt man sich selbst zu, Verluste „dem Markt“ – anderen, die etwas nicht kapiert haben. Kennen Sie das Phänomen? So argumentieren derzeit auch viele nicht investierten Pessimisten über Aktien und Immobilien.
  • ich habe mit Optionsscheinen hantiert, deren Pricing schwer nachvollziehbar ist, in die Banken hohe Margen schnitzen und deren Zeitwertverluste meist unterschätzt werden.
  • ich habe Marktbewegungen nicht objektiv interpretiert, sondern so, dass sie zu meiner Position passen: Markt fällt nicht -> ich habe doch Recht. Anstatt zum Schluss zu kommen, dass ein schweres Erdbeben in einer Industriemetropole kaum gut sein kann netto – und ein Warnschuss war, eine Position zu schließen. Stattdessen habe ich
  • Verluste nicht begrenzt und
  • bei einem Optionsschein (!) nachgeschossen und verbilligt.

Solche Erfahrungen sind meiner Meinung nach für eine „Anlegerkarriere“ auch gar nicht so dumm. Ich war beispielsweise froh, sie Mitte der 90er mit ein paar Tausend Mark gemacht zu haben. Eine ganze Generation an neuen Aktionären hat sie wenige Jahre später im Neue-Markt-Boom dann mit ganz anderen Beträgen gemacht.

Es gibt aber eine weitere Lehre aus diesem Vorfall. Er lautet: Am Ende lässt sich die Gravitation der Kapitalmärkte nicht überwinden. Irgendwann wirken die natürlichen Kräfte, egal, wie man sich dagegen stemmt. Bei einer Betrügerbude, die Gewinne vortäuscht. Bei luftigen Bewertungen, in die Konzerne dann doch nicht „hineinwachsen“ durch steigende Gewinne. Bei Anleihen mit Negativzinsen. Bei Aktienmärkten, in denen die Kurse steigen und steigen, obwohl die Fundamentaldaten nicht folgen. Bei „Fake-Accounts“ von Zockern.

Ein externer Schock kann dann häufig der Auslöser sein, die Dinge wieder geradezurücken. „When any market moves significantly, there’s a chance it will shake out something like my story“, erklärte Leeson vor einigen Jahren in einem Reuters-Interview.

Es gibt aber eine Weile keine „significant moves“ mehr. Aufkommende Volatilität sackt sofort wieder ab. Man traut den Notenbanken zu, zu starke Volatilität jederzeit wieder zu drücken. Entsprechend können sich vermutlich auch Leesons Erben – irgendwelche „Quants“, deren Modelle auch in Zeiten der Nullzinsen risikoarme Erträge versprechen – gut im System verstecken. Wir dürfen gespannt sein, was passiert, wenn wir irgendwann auch mal wieder „significant moves“ sehen – und wen es dann herausschüttelt!

From → Blog

3 Kommentare
  1. Es ist interessant daß Mitte der 90er Jahre der zu dieser Zeit gemessen am vorausgegangenen Höchststand nominell halbierte Nikkei – Index trotz aller wirtschaftlichen Probleme Japans damals bereits wieder als Anlagechance betrachtet wurde.

    Inzwischen ist ein großer Teil von Corporate Japan aus den Krisen früherer Tage herausgewachsen und die während der 80er Jahre tätige Managergeneration 30 Jahre später überwiegend im Ruhestand.

    Eine glückliche japanische Aktie ist heute beispielsweise Keyence, ein fabless (fabrikloser) Hersteller von Automatisierungstechnik. Interessant ist dabei daß das erfolgreiche Unternehmen eine Eigenkapitalquote von 95% aufweist. Überhaupt haben viele börsennotierte japanische Unternehmen eine höhere Eigenkapitalquote als vergleichbare westliche Konzerne derselben Branche.

Trackbacks & Pingbacks

  1. Kleine Presseschau vom 3. März 2017 | Die Börsenblogger
  2. Artikel über Wirtschaft und Devisen 5. März 17 | Pipsologie

Hinterlasse einen Kommentar