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Sind wir Immobilien-Jammerlappen?

16. Juli 2016

Ach ja, die Immobilienpreise! Jeder kennt eine Geschichte, jeder hat eine eigene Geschichte, und jeder hat eine Meinung: Blase oder nicht? Das war Gegenstand meiner Recherche für die am 21. Juli erscheinende CAPITAL. Ein nettes „Derivat“ meiner Recherche, das leider nicht in Gänze Platz fand, war ein besonderer Fokus auf den Typus „Großstädtischer Jammerlappen“: Ist um die 40, würde ja kaufen, findet aber nichts, hält den Markt für „krank“. Verbunden mit der Frage: jammert diese Generation zu Recht?

Der deutsche Wohnimmobilienmarkt! Wer kann da keine Geschichte zu erzählen – wer hat keine Meinung, ob in den Großstädten übertrieben wird mit den Preisen oder nicht.

In den vergangenen drei Wochen habe ich viel Arbeit in die Recherche zu diesem Thema gesteckt, es wird die Titelgeschichte in der Capital (erscheint am 21. Juli).

Eine Facette trieb mich bei der Recherche besonders um: ist die Generation der heute etwa 40jährigen – also Leute wie ich – einfach nur verwöhnt, oder jammert sie auf hohem Niveau über die Immobilienpreise? Ich finde diese Frage von großer Bedeutung, schließlich ist der Erwerb einer Immobilie eine weitreichende Entscheidung und Form der Geldanlage.

Zugegeben: mich beschleicht schon seit längerem der Verdacht, dass es sich bei der extensiven Berichterstattung über den Immobilienwahnsinn in Großstädten auch um ein klassisches journalistisches Filterblasenproblem handelt: Medien werden in der Regel in Großstädten produziert. Von Menschen, die zum Studium oder der Arbeit in Großstädte gezogen sind. Die recht mobil sind beziehungsweise sein müssen und folglich häufig die Wohnung wechseln und neue Mietverträge abschließen. Die gerne in Trendviertel wohnen. Kurz: bei denen mal alle Checkboxen „ankreuzen“ kann, ob sie in besonderem Maße von den jüngsten Kauf- und Mietpreisanstiegen betroffen sind – und entsprechend dramatisch und überzeugt von Preisblasen, Übertreibungen, Massenbesichtigungen schreiben.

Bei meiner Recherche hat sich dieser Eindruck in vielerlei Hinsicht bestätigt: Gerade einmal ein Drittel der Menschen wohnt in Deutschland in Städten, die von besonders starken Immobilienpreisanstiegen betroffen sind. Von diesem Drittel sind natürlich auch meist (!) „nur“ diejenigen betroffen, die einen neuen Mietvertrag abschließen, nicht ohnehin schon in Eigentum wohnen oder einen Staffelmietvertrag besitzen. (Und generell sind Geringverdiener weitaus stärker von steigenden Kauf/Mietpreisen betroffen als Durchschnitts/Gutverdiener, was ein großes Problem ist. Dazu mehr im Heft, hier geht es ja um etwas anderes: um kaufwillige 40-somethings in Städten mit mindestens einem durchschnittlichen Einkommen.)

Ebenfalls unter den Tisch fällt oft die positive Einkommensentwicklung der vergangenen Jahre (für Durchschnitts-/Gutverdiener) oder die Entwicklung der Beschäftigtenzahl. Oder auch die Tatsache, dass Mieten und Kaufpreise auch in Städten zwischen 1995 und 2008 nicht gestiegen, sondern gefallen sind. Die Mieten real, die Kaufpreise nominal wie real.

Womit wir uns einer recht einfachen Erklärung nähern, warum das Geschrei und Geklapper gerade bei den etwa 40jährigen so groß ist.

Warum 40? Das klingt nach Selbstbespiegelung (ich bin 41 Jahre alt), hat aber einen einfachen Grund: 40 ist das durchschnittliche Alter, in dem Menschen in Deutschland Eigentum erwerben. Die Eigentümerquote „explodiert“ regelrecht, wenn man sich die Alterskohorte der 25 bis 34jährigen ansieht (6%) und dazu im Vergleich die 35 bis 44jährigen (42 Prozent).

Es gibt also gute Gründe, sich die 40jährigen anzusehen.

Nun war Kaufen/Bauen noch nie leicht. Die Preise waren in den 70er/80er Jahren auch schon gefühlt hoch, es gab auch – ganz anders als heute – bis in die 90er Jahre hinein eine Unterversorgung mit Wohnraum in ganz Deutschland. Und natürlich dramatisch höhere Zinsen.

Um zu verstehen, warum so viele heute 40jährigen verzweifelt sind, in Städten nichts zu finden, sollte man nicht nur über den Verkäuferstreik nachdenken. Klar: Bei Null Prozent Zinsen haben auch Verkäufer kaum Verwendung für den Erlös, außer, sie verbessern sich. Man sollte ferner daran denken, dass viele der 40jährigen nur dank kräftiger finanzieller Hilfe von Verwandten bauen/kaufen können – aber nicht alle darüber reden, was dann wiederum den „Handlungsdruck“ auf das soziale Umfeld erhöht.

Man muss sich vor allem schlicht veranschaulichen, dass man seine Meinung über den Immobilienmarkt nicht anhand bunter Grafiken in Zeitschriften, Texten oder Zahlenreihen der Bundesbank bildet. Sondern anhand dessen, was man selbst erlebt, wenn man auszieht oder sich nach dem Ausbildung oder dem Studium finanziell abnabelt und eine erste eigene Wohnung bezieht. Wie sind die Mieten? Gibt es genug Auswahl an Wohnungen?

Setzen wir dieses typische „Unabhängigkeitsalter“ einmal mit 25 Jahren fest. Dann bilden sich Menschen also zwischen der endgültigen Abnabelung von zu Hause mit 25 und dem typischen „Kauf“ beziehungsweise „Bau“-Alter von 40 ihre Meinung über den Immobilienmarkt.

Und nun wird es sehr interessant. Blicken wir zurück, wie sich die realen Immobilienpreise (die Kaufpreise) in Städten in Deutschland für die jeweils 40jährigen seit 1985 entwickelt haben, dann gab es – trotz zwischenzeitlicher Schwankungen – bei keiner „Generation“ der 40jährigen in den 15 Jahren zuvor signifikante Preianstiege. Wer 1985 40 Jahre alt war, hat also zwischen 1970 und 1985 nur ein leichtes Plus „erlebt“. Wer 1990 40 Jahre alt war, ein ebenso kleines zwischen 1975 und 1990. Und so weiter.

Wer 2005 oder 2010 40 war, hat in den 15 Jahren zwischen Auszug und Kauf/Bau sogar real fallende Preise gesehen – 2010 betrug dieser reale Rückgang (1995-2010) 20 Prozent!

Und die 40jährigen heute, im Jahr 2016?

Die haben den Immobilienmarkt in Großstädten Mitte bis Ende der 90er Jahre „betreten“, als er gerade auf einem zyklischen Hoch war. Der Post-Einheits-Bauboom sorgte für eine starke Wohnraumversorgung – erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Mieten kletterten real nicht mehr. Die Kaufpreise fielen. Jahrelang! Zugleich kletterte mit den Jahren natürlich auch das Einkommen. Paradiesische Verhältnisse, die viele einfach nicht wahrgenommen haben. Einen besonders Anreiz, Eigentum zu erwerben, bot diese Gemengelage nicht, denn stand auch nicht schon damals überall, dass Deutschland schrumpfe? Wer immer einen gewissen Teil – sagen wir, wie üblich, rund 25 Prozent seines Einkommens für die Kaltmiete ausgab, konnte sich mit steigendem Einkommen auch immer besseren und größeren Wohnraum leisten.

Klar: Wer aus der Provinz in die Stadt zog, musste natürlich kräftig drauflegen, klar, für den war Hamburg, Frankfurt und Köln ein zunächst teures Pflaster. Aber auch meiner Erinnerung nach war es nie – Ausnahme: München, schon in den 90ern! – ein großes Problem, in einer Großstadt und erst recht dort in Studentenvierteln bezahlbaren Wohnraum zu finden. Vor allem nicht verglichen mit Großstädten anderer europäischer Länder.

Dann drehten aber 2006 die Mieten und 2008 die Kaufpreise nach oben in Städten. Aus guten Gründen: Nachholeffekten nach vielen schwachen Jahren, plötzlich starken Einkommensschüben und steigender Beschäftigung und natürlich einem massiven Zuzug in Städte, hier besonders in die 30 so genannte „Schwarmstädte“.

Aus Sicht eines heute 40jährigen sind nun die (realen) Preise über die vergangenen 15 Jahre erstmals für eine 15-Jahres-Periode nicht gefallen oder allenfalls leicht gestiegen, sondern deutlich gestiegen. Und zwar um acht Prozent 2000-2015. Das erklärt, warum viele so perplex sind und es nicht fassen können, was da gerade passiert. Gesamtwirtschaftlich mögen das Aufholeffekte sein, denn noch immer sind Immobilien auch in Städten in der Breite erschwinglich. Aber persönlich ist es eine Beinahe-Katastrophe: Jahrelang läuft alles super, fallen real Mieten wie Preise – und plötzlich dann ein solcher Anstieg.

Was das zweite Problem eröffnet: Unter 20 Prozent Eigenkapital geht in der Regel nichts beim Kauf. Die Kaufnebenkosten sind ebenfalls gestiegen. Selbst wenn sich viele überlegen, dass sie sich nun doch immunisieren wollen gegen Kauf- und Mietpreisanstiege und ein eigenes Nest bauen oder kaufen wollen: so schnell kann auch ein Normalverdiener niemals Eigenkapital zusätzlich aufbauen, wie ihm die Eigenkapitalanforderungen der Banken für sein immer teurer werdendes Wunschobjekt davonläuft. Kein Wunder, dass Erbschaften und Kapitalspritzen von Verwandten oft den „Unterschied“ machen, wer überhaupt Eigentum erwerben kann und wer nicht.

Nun könnte man auch argumentieren: dann muss ein 40jähriger eben dahin ziehen, wo Eigentum erschwinglich ist. Das ist, zugegeben, das, was mich auch in meiner kleinen Wert „suchender“ Freunde so wundert: Die Suche nach Eigentum ist meist auf 3-4 Topviertel und dort auf Neubau oder sanierten Altbau beschränkt.

Aber das ist ganz natürlich, wie ich während meiner Recherche gelernt habe. Denn sich zu verschlechtern in Sachen Viertel und Qualität, kommt für die meisten nicht in Frage. Das hat mit dem Sperrriegeleffekt zu tun: ein einmal erreichtes Konsumniveau verlassen wir nur höchst ungern und widerwillig. Erst Recht beim Thema Wohnen, das ganz zentral für unsere Lebensqualität ist. Der einzige Weg in bezahlbares Eigentum führt aber für viele (auch, weil sie in alten, günstigen Mietverhältnissen sind) nur über eine Verschlechterung (von Viertel oder Bauqualität) oder Verkleinerung (des Wohnraums). Weil unsere Bedürfnispyramide aber meist ganz gut abgedeckt ist, definieren wir uns weitaus stärker über das Thema Wohnen, die Qualität und das Viertel als noch vor 30 oder 40 Jahren.

Also greifen die bei Immobilien stark ausgeprägten Beharrungskräfte: potenzielle Käufer, die den Preisen hinterhersehen, reden sich ein, dass die Preise schon wieder fallen werden. Nächstes Jahr. Denn der Anstieg ist bestimmt übertrieben! (Das passiert auch umgekehrt bei verkaufswilligen Eigentümern: bei fallenden Preisen halten sie tendenziell so lange an einer Immobilie fest, ehe sie mindestens wieder nominal ihr Geld wiedersehen).

Insofern: ja, viele 40jährige jammern auf hohem Niveau. Es ist schließlich auch eine Frage des Anspruchs, wie wichtig einem Eigentum ist – und sie haben wirklich eine merkwürdige Phase „erwischt“ in den letzten 15 Jahren. Aber sehr vielen fehlt auch die „Eintrittskarte“ Eigenkapital, um überhaupt realistisch kaufen oder bauen zu können. Die Rolle von Erbschaften steigt, sie perpetuiert die Vermögensverhältnisse: Eltern in Eigentum können ihren Kindern Eigentum ermöglichen (und Wohneigentum ist eine sehr, sehr wichtige Determinante für Vermögen im Alter).

Mehr dazu (mit vielen Grafiken) im neuen CAPITAL-Heft – diese Recherche war wirklich sehr interessant!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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7 Kommentare
  1. wedges permalink

    Ein hochinteressanter Artikel! Wie sich doch doch die Zeiten ändern. Ob es evtuell daran liegt, dass frühere Generationen das Projekt Eigentum in den Mittzwanzigern angegangen sind. Bei vielen waren die Kinder als sie 40 waten auch nicht mehr im Kleinkindalter, sondern eher schon auf den Sprung ins eigene Berufsleben oder zumindest in die weiterführende Schulen.

  2. reichplanung permalink

    Hallo Herr Kirchner,

    sehr interessante Analyse, die ich absolut nachvollziehen kann. Zusätzlich kommt noch der Aspekt der Zinsen hinzu, der es noch verlockender macht sich zu verschulden und damit kaufen gegenüber mieten attraktiver. Unabhängig davon finde ich Multiplikatoren von ~30 schon ganz schön hoch und mit Nebenkosten die 35-fache Jahresmiete auf den Tisch des Hauses zu legen einfach Wahnsinn.

    Also einfach Grundstücke kaufen, selbst bauen und die Wohnungen verkaufen. Wäre da bloß nicht die Steuer mit den 10 Jahren Haltepflicht und nur 1-2 Verkäufen…

    Grüße, Alex

  3. Hallo Alex,
    das Argument, dass die Zinsen es attraktiver machten, sich zu verschulden, das höre ich oft. Es klingt auch plausibel. Ich glaube aber, dass es in der Praxis eher überschätzt wird. Für die Finanzierung einer Immobilie entscheiden sich Menschen vor allem dann, wenn sie sich relativ sicher sind, dass die Wohnung in einem überschaubaren Zeitraum abbezahlen können. Die allermeisten haben da vor allem einen Blick auf ihre Einkommensströme in den kommenden 20 Jahre. Hinzu kommt, ob es sich in der Persönlichkeit um Menschen handelt, die eher Eigentum anstreben oder oder eher die flexiblen Mieter sind. Das sind die viel wichtigeren Determinanten, ob jemand finanziert oder nicht: ist das Einkommen gut und die Einkommenserwartungen? Läuft die Wirtschaft? Gibt es überhaupt einen Kauf/Bauwunsch? Ob Baugeld 1,2,3 oder 4 Prozent kostet, ist nicht unwichtig und vielleicht noch mal ein „Clicker“, aber nicht entscheidend. Zumal wir ja schon seit Jahren hören, dass das absolute Tief nun erreicht sei und jeder mit Kaufwunsch doch die niedrigen Zinsen nutzen müsse.

    Das birgt freilich – einen Schritt weiter gedacht – auch die große Gefahr bei einem möglichen Abschwung in diesem Markt. Außer, wenn man für eine Finanzierung das Geld buchstäblich nachgeschmissen bekommt von der Bank, wird von der Zinsseite keine Impuls mehr zur Stabilisierung eines aus welchen Gründen auch immer (Euro-Krise, politische Turbulenzen, Bankenkrise….) taumelnden Markts mehr bekommen. In jeder Abschwungphase im Immobilienmarkt seit 1970 wurde die „Preiswende“ von einem Zinsrückgang von 1,5 bis 2,5 Prozentpunkte begleitet. Das wird’s in der nächsten Krise in 2? 5? Jahren nicht geben, so sie bei einem Zinsniveau vergleichbar zu heute kommt.

    Viele Grüße

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